Dieser Text ist ein Plädoyer für den Mut zur Unsicherheit, mitunter sogar zur handelnden Naivität, die in ihrer Einfachheit immer schon Elemente des Widerstandes gegen die verwaltete Welt enthält. Ich möchte Werbung machen für diesen einen Gedanken, der doch das ganze Leben so sehr zu verändern vermag, ist er einmal in vollkommender Klarheit ins Bewusstsein getreten. Dieser eine Gedanke, aus dem so viel Schönes wie Schreckliches erwächst, ist dieser: Es gibt keine Sicherheit. Unsere Existenz ist ein Schwindel, und zwar im doppelten Sinne. Uns wird schwindelig bei der Überlegung, wo wir herkommen, hingehen und wer wir sind. Das Nachdenken darüber, was außerhalb des Erfahrbaren liegt, ist immer wieder ein wilder Trip durch Metaphysik und Hirngespinste. Irgendwie cool und aufregend, aber stets ist man dabei bedroht, von der Wucht des Unbegreifbaren vollends aus der Fassung gebracht zu werden. Im Grunde ist diese Unternehmung ein großer Irrsinn, will sie sich doch in Gefilde begeben, die sich der Form unseres Erkennens vollends verschließen. Sie ist das Auslesen und Ausloten von Grenzen und nichts außerdem. Ein Schwindel ist unsere Existenz aber auch auf der zweiten Bedeutungsebene des Begriffs: Die Welt um uns herum ist Vorstellung, Erscheinung, Anschauung – Data aus der uns umgebenen Umwelt durchlaufen den Filter unseres Sinnesapparates und erzeugen die Illusion einer von unserer eigenen Subjektivität getrennten Außenwelt. Was die Dinge und wir selbst an sich sind, welche Beschaffenheit alles Seiende außerhalb der Modi Raum, Zeit und Kausalität hat – davon wissen wir nichts und nur hier ist Raum für Metaphysik, die aber notwendig schnell an die beschriebenen Grenzen gerät und dann für den Alltag recht eigentlich keine Bedeutung mehr besitzt. Wichtiger ist, was wir aus dem Leben nachdenkend für unser Leben herleiten können. Sowohl durch intensives Grübeln über die Existenz als auch durch eine einschneidende Erfahrung kann der Mensch mit seiner eigenen Nichtigkeit und Unbestimmtheit konfrontiert werden. Bei manchen mag sich dieses Gefühl des „der-Welt-ausgesetzt-sein“ oder des „in-die-Welt hineingeworfen-sein“ sogar auch einfach ganz spontan und situationsunabhängig einstellen: auf einmal ist es da, dieses Wissen darum, eine nicht notwendige, aber mögliche Existenz zu verkörpern, die sich nur des Todes gewiss sein
kann. Wir finden uns umschlossen von Bedingungen und Konditionen, auf deren Bestehen wir zunächst (und in großen Teilen auch nie) einen Einfluss haben und doch müssen wir uns darin als
selbstständige und selbsttätige Wesen begreifen, wollen wir uns nicht selbst den Status der Hand-
lungsfreiheit- und Handlungsfähigkeit absprechen. Das ist wahrlich nicht immer eine leichte Hürde und ehrlich gesagt scheint mir das Gros der Menschen diese existenzielle Freiheit sehr bereitwillig an künstliche Autoritäten abzugeben, aber es ist, darauf möchte ich mit diesem Text hinaus, eine Hürde, die zu nehmen sehr erstrebenswert ist. Bisweilen sehnsüchtig denken wir daran zurück, wie es im Mutterleibe um uns bestellt war, wie wir um nichts fürchten und für nichts Unternehmungen anstellen mussten. Natürlich erinnern wir uns nicht, doch ist die gedankliche Rekonstruktion dieses Zustandes sehr verführerisch. Und doch ist dieser Zustand vollkommener Geborgenheit dahin, sobald das Bewusstsein der Handlungsfreiheit und
Ungebundenheit eingesetzt hat – mit dem unfreiwilligen Eintritt in den Subjekt-Status bleibt nichts als das Wissen, dem Prinzip nach ein freies Wesen mit Verantwortung für sich, seine Entscheidungen und den Konsequenzen, die daraus erwachsen, zu sein.
Wie auch immer dieses Wissen, dieser Schock des Existieren-Müssens ins Bewusstsein getreten sein mag: ist es einmal da, muss sich damit auseinander gesetzt werden. Aber was genau heißt das? Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, in eine unvorhergesehene Situation hineingeworfen worden zu sein, die ihn zum wie auch immer gearteten Handeln zwingt, kann vielleicht besser nachvollziehen, worauf dieser Text hinaus will. Der individuelle Mensch ist nämlich nicht bloß in eine einzige Situati-on hineingeraten, die er sich nicht ausgesucht hat und die von ihm verlangt, aktiv zu werden; jeder individuelle Mensch ist ins Leben selbst geraten, ohne diesen Eintritt irgend veranlasst oder geplant zu haben. Auf einmal sind wir und werden uns mit zunehmenden Alter genau dieses Umstandes bewusst: zu sein. Und da wir nicht anders können, als kausal zu denken, d.h. die Idee des Ursache-Wirkungs-Prinzips ein Modus menschlichen Erkennens überhaupt ist, sind wir sehr schnell bemüht, uns und unserem Leben einen Zweck zu geben. Wir begreifen uns als kontinuierliche Ursache für einen Zweck, der uns im Moment der Bewusstwerdung unseres Daseins gar nicht bekannt ist und sein kann. Wir sind einfach und wissen nicht, wieso, weshalb, warum. Dieser Umstand ist der Urquell alles Göttlichen, aller Religionen, aller Metaphysik, Esoterik und Spiritualität. All diese Erfindungen des Menschen sind Reaktionen darauf, sich einen Zweck nachträglich ins Leben zu holen. All diese
Erfindungen sind feige Ausflüchte vor und Pseudoerklärungen für die so schwer zu akzeptierende Möglichkeit, dass unser Leben sinn-, zweck- und ziellos ist. Es verlangt eine Menge und von den meisten Menschen nicht zu leistenden Mut, sich dieser sich unserem ganzen Selbstverständnis und Empfinden so sehr widersetzenden Möglichkeit zu stellen: Vielleicht sind wir einfach da, ohne zu irgendetwas Großem bestimmt oder Teil einer Universalität zu sein. Da muss mensch erst einmal schlucken, ist er doch (jedenfalls im sogenannten globalen Norden) kulturgeschichtlich regelrecht auf den Gedanken gedrillt worden, Mittelpunkt alles Seienden zu sein.
Sich jetzt zu begreifen als eine objektive Nichtigkeit, als etwas, das genauso gut nicht sein müsste, ist ein krasser Einschnitt in sein narzisstisches Selbstbild. Aber wer genau diesen Einschnitt, diese Zäsur in der Wahrnehmung und Bewertung des eigenen Daseins einmal zulässt, wird schnell merken, wie befreiend diese Kränkung ist. Der Druck und die Last, für etwas bestimmtes Leben zu müssen, als Teil eines metaphysischen Plans funktionieren zu müssen oder sich einer esoterischen Idee zu unterwerfen, fallen mit einem mal weg. Und das schafft Platz. Platz zwar für die Unsicherheit, sich nicht in vorgefertigten Mustern bewegen zu können, sondern frei entscheiden zu müssen. Platz aber auch für den Akt der Selbstermächtigung
und Platz für ein materialistisches Weltverständnis, das uns zu Akteur*innen macht.
An die Stelle autoritär geprägter Lebensentwürfe tritt die Notwendigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und das Schicksal selbst in die Hände zu nehmen. Es braucht also Mut, dieses Wissen um die eigene Unbestimmtheit nicht einfach wieder tief in seine Gewohnheiten zu vergraben und wieder fremdbestimmten Mustern zu genügen, es braucht den festen Entschluss, die Sicherheit der künstlichen Fremdbestimmung aufzugeben und sich aus den Ketten der Automatismen zu befreien. Doch wer diesen Entschluss einmal fasst und bereit ist, ihn aufrecht zu erhalten, der erhält zum Lohn dieses irgendwie erhabene Gefühl, das sich bei der gezielten Konfrontation mit der Unsicherheit einstellt und echter ist als jedes weichgespülte Leben in Fremdherrschaft. Ich kann nur empfehlen, den Gedanken an die grundsätzliche und durch keine gesellschaftlichen und kulturellen Konventionen zu tilgende Freiheit jedes Individuums, d.h. auch des eigenen Lebens, immer wieder zuzulassen und ihn zur Maxime des eigenen Handelns zu machen.
Natürlich ist, wer Entscheidungen selbst trifft und sie nicht zum Gegenstand übergeordneter Interessen macht, stets bedroht, auch Fehler zu machen, für die dann die volle Verantwortung sich einstellt.
Aber was sind schon Fehler? Gut und Böse sind zwar nützliche, aber mehr noch gefährliche Kategorien zur Weltvereinfachung. Das Denken in Dualismen und abstrakten Begriffen ist geradezu unvermeidbar, aber es kann der komplexen Wirklichkeit niemals auch nur im Ansatz gerecht werden und ist nicht selten der ideologische Nährboden für Grausamkeiten aller Art.
Dieses Denken ist daseiendes Werkzeug der Weltaneignung, aber ohne kritische Reflexion bei der Anwendung verkommt es zum Instrument der Macht und Herrschaft. Worauf ich aber hinaus will: Natürlich fasse ich, wenn ich mich zu entscheiden entscheide, auch solche Entschlüsse, deren Konsequenzen anders ausfallen als erhofft oder die sogar ein kalkuliertes Risiko besitzen, aber wenigstens habe ich in einem solchen Fall nicht gehorcht, sondern gehandelt. Das scheint mir mehr wert zu sein als jede Tätigkeit, die auf Befehl ausgeführt wird und im Sinne des vorherrschenden Diskurses als nützlich betrachtet wird.
Ich möchte also abschließend den Grundgedanken meines Anliegens in aller Kürze zusammenfassen:
Wir kommen als Wesen zur Welt, deren Sinn und Zweck unbekannt oder schlicht nicht vorhanden ist. Gleichzeitig aber sind wir konditioniert, in Kausalzusammenhängen zu denken und suchen daher fieberhaft nach dem Grund unserer Existenz. Diesen Grund erschwindeln wir uns zum Beispiel durch Religionen. In dem Leben der meisten Menschen wird es Momente geben, in denen die Kontingenz (Möglichkeit bei Nicht-Notwendigkeit) gnadenlos ins Bewusstsein bricht, andere leiten sich diesen Gedanken evtl. gezielt her. Ist er einmal ins Bewusstsein getreten, gibt es zwei Optionen: Entweder der Mensch flüchtet sich zurück in die Fremdbestimmung (Autoritäten aller Art) oder er begreift sich als freies und sinnentbundenes Subjekt, das die Verantwortung für sein Leben selbst in die Hand nimmt und mit bisweilen spielerischer Naivität die Dinge probiert. Zwar sind die Konditionen unseres Daseins ohne unseren Einfluss determiniert, innerhalb dieses epistemologischen Rahmens sind wir aber freie Wesen, die die Flucht nach vorn statt in die Unmündigkeit antreten sollten.
Category: Essays Texte Lyrisches
Zum 8. März – Anarchie und Liebe?
Ⓐnarchie und Liebe ?
Auch in so einer seicht wirkenden Sache wie der Liebe steckt eine gehörige Prise
Herrschaft. Sogar fast staatlich angeordnet.
Liebe wird in unserer Gesellschaft gern mit der ‚Ehe‘ abgesegnet, offiziell zertifiziert und
als Krönung der Liebe gibt’s dann oft ein daraus (oder darin) entstandenes Kind. Diese
abgesegnete Liebe bildet unter anderem einen der elementarsten Bausteine zum Erhalt
des Patriarchats.
Alles streng heteronormativ und als Modell in unserer Gesellschaft bis in die letzte Ecke
verankert. Die Familie als ‚Nachweis‘, Liebe zu verbildlichen.
An das Idealbild, wie es ‚richtig‘ ist, sollen sich möglichst alle halten. Alles außerhalb der
Regeln ist merkwürdig, gehört sich nicht oder gilt sogar als falsch.
(hierbei sei angemerkt, dass es vollkommen legitim ist, wenn Menschen sich in einer
heteronormativen Beziehung wohl fühlen, wenn es dann selbst gewählt und frei
empfunden ist)
Liebe ohne einen gesellschaftlich anerkannten Stempel wird in der Regel negativ
konnotiert. Der Begriff „wilde Ehe“ ist da verhältnismäßig harmlos. Liebe ohne Ehe oder
einem ähnlichen festen Konstrukt als Überbau, wird entweder gar nicht erst ernst
genommen oder abfällig betrachtet.
Bei männlich gelesenen Personen, die sich nicht im vorgegebenen Zeitfenster mit dem
‚entsprechenden Gegenstück‘ ausstatten, werden ‚krankhafte Neigung‘ oder andere
diskriminierende ‚Abweichungen‘ vermutet. Bei weiblich gelesenen Menschen, Frigidität
oder sonstige Unverschämtheiten unterstellt.
Liebe ist nur ‚richtig‘ wenn sie in eine ‚ordentliche‘ Struktur namens Ehe mündet. Dies wird
vom Staat gefördert. Unzählige Alltagssituationen sind genau auf diese Konstellationen
ausgerichtet.
Beispiele:
▫️ Wohnungen und Hausaufteilungen sind meist auf ‚Ehepartner‘ inkl. der dazugehörigen
Kinder ausgerichtet.
▫️ Steuervorteile für monogame und heteronormative Ehekonstellationen mit
zugrundeliegender binärer Geschlechterordnung.
▫️ Adoptionen oder ein schlichtes Besuchs-, und Informationsrecht im Krankenhaus.
Doch zur Liebe gehört doch so viel mehr als nur die ‚praktischen‘ Umstände die mit
stinkender Farbe konservativ angepinselt sind. Die Emotion nämlich.
Liebe, wie sie in unserer Gesellschaft gekannt wird, ist nie so richtig frei. Sie bekommt
immer einen ‚Namen‘ oder eine ‚Kategorie‘. Wird in irgendeiner Form restringiert und
gegängelt, als Teil eines komplexen Systems, in dem Liebe als eins der ‚Goodies‘ im Leben
herangezogen wird, aber eigentlich nichts weiter als eine weitere starre Stange im Korsett
des Systems ist.
Erzählt wird den Menschen, es gibt eine einzig wahre Liebe. Es gibt die eine große Liebe.
Diese gilt es zu finden und sich dann auf ewig zu binden. Am besten schnell und ohnegroße Umwege. Ist man dann verheiratet, ist man ‚vom Markt‘. Aussagekräftiger könnte
diese Lebenssituation nicht bezeichnet werden.
Und dennoch erscheint es doch sehr unrealistisch, eine einzige Person über die gesamte
eigene Lebenszeit zu lieben, lieben zu können, oder zu wollen. Zudem liegt dies oft nicht
einmal in der eigenen Hand, … den Hormonen oder dem Herzen?
Nicht nur durch das gesellschaftliche, sondern zudem noch dem religiösen Korsett,
kommen viele weitere Regeln hinzu wie Liebe gelebt werden: darf, soll, muss.
Die Absurdität nimmt weiter zu, wenn die Liebe dann einen der geltenden Namen zugeteilt
bekommen hat. Ist Mensch in einer ‚Beziehung‘, dann bitte immer fest und nur als
Zweierbeziehung. Einmal eingeordnet ist auch das böse Wort ‚fremdgehen‘ nicht weit.
Wird dies in Zweierbeziehungen Thema, dann ist Mensch gescheitert. Doch ‚Fremdgehen‘
kann Mensch ja aber auch eh nur, wenn vorher Besitzansprüche festgelegt wurden. Wie
kann es sein, dass Menschen sich gegenseitig ‚gehören‘ sollen?
Die jetzige Gesellschaft fordert, dass Mensch seine Liebe festlegt. Der Idealfall:
heteronormativ, monogam und statisch.
Natürlich gibt es dann noch die ‚Exoten‘. Die, die polyamor leben oder auch das Konzept
der offenen Beziehungen realisiert haben. Jedoch auch diese Beziehungsformen haben
nicht selten starre Regeln. Die aus Besitzansprüchen geboren werden, in Regeln münden
und das unzähmbare Ding namens Liebe umranden sollen.
Aber eins steht doch fest: Liebe braucht sich nicht auf. Liebe kann mit vielen geteilt
werden.
Manchmal wird sie vielleicht weniger, manchmal mehr. Das Leben ist lang.
Nur weil Liebe mit dem Stempel ‚Ehe‘ oder ‚Beziehung‘ versehen ist, bleibt sie keinesfalls
davon unberührt sich zu verändern, zu verblassen oder in andere Richtungen zu
empfinden. Dies verursacht dann nicht nur großen emotionalen Schmerz, sondern vor
allem auch Verlustängste und insbesondere die ‚Besitzansprüche‘ in Partnerschaften
betreffend, ist dies der ideale Nährboden für Femizide.
Liebe und Besitz gehören einfach nicht zusammen. Niemals und in keiner Form.
Liebe und Anarchie dann aber doch schon viel mehr 🙂
Denn Liebe ist frei. Liebe kann eine Gestalt haben, sich nach etwas bestimmten
anfühlen. Jedoch kann sie doch nie festgehalten oder forciert werden.
Liebe ist, genau wie Freundschaft, keine begrenzte Ressource. Ist selten statisch und
muss auch nicht zwischen nur zwei Menschen stattfinden.
Lassen wir uns darauf ein, lernen wir emotionale Freiheit kennen, die nicht geprägt ist von
beschissenen Herrschaftsvorgaben, von Traditionen, herkömmlichen Werten & Normen.
Stattdessen gewinnen wir viel, wenn wir uns (im Konsens) auf neue Pfade begeben
können.
Romantisch oder freundschaftlich. Sexuell oder platonisch. All das kann Grund sein, warum
Menschen eine zeitlang oder auch lebenslang zusammen, ein Stück oder mehrere Stücke,
Lebensweg gemeinsam gehen.Farbenfrohes Verliebtsein, tiefe freundschaftliche Liebe, sexuelle Anziehung oder aber
auch eine vollkommene Kongruenz zweier (oder mehrerer) Menschen, deren ‚Sein‘ und
Geist nicht nur eine starke Verbindung bildet, sondern Liebe, ganz ohne körperliche
Interaktion.
Liebe beruht nicht immer auf Gegenseitigkeit und kann auch dann doch Dinge bewegen.
Manchmal ist Liebe auch einfach ein Gefühl der Verantwortung dem, der oder den anderen
gegenüber.
Als eine durch starke körperliche oder geistige Anziehung in Erscheinung tretende Emotion
verändert sich die Liebe stetig.
Durch einen selber und durch das sich verändernde Umfeld.
Somit ist es nur logisch, dass sich auch Liebesbeziehungen ändern.
Sich umeinander sorgen oder vielleicht auch sich gegenseitig versorgen. Aufeinander
aufpassen, sich gegenseitig stärken und Banden bilden in denen keine Vorgaben Pflicht
sind, sondern einfach die gegenseitige Liebe der Motor ist, die Welt zu einem Ort zu
machen, auf dem es für alle Lebewesen lebenswert ist, zu sein. Herrschaftsfrei, gewaltfrei,
gemeinschaftlich und autonom zugleich.
Liebe hat vielerlei Gestalt und ist viel zu ungestüm um nicht anarchistisch zu sein.
Liebe ist und bleibt frei. Daran lässt sich auch durch das aufstellen von Regeln nichts
ändern.
Liebe kann nicht dominiert werden und in vorgefertigte Strukturen gepresst werden. Damit
geht ihr Zauber, ihre Elektrizität und diese unbändige Kraft verloren, die sie auslösen kann.
Verschüttet sie unter Normen und Werten.
❥ Liebe ist Anarchie.
❥ … und Anarchie ist Liebe
Kolonisierung & Dekolonisierung
Ein Handbuch für indigene Befreiung im 21. Jahrhundert
Zum Gebrauch dieses Handbuchs
Dieses Handbuch ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil definiert Kolonialismus, seine Methoden und Geschichte bis heute (z.B. Invasion und Besetzung des Irak durch die USA). Der zweite Teil beschreibt im Detail die Effekte des Kolonialismus auf indigene Völker, einschließlich der soziologischen und individuellen Auswirkungen. Der dritte Teil untersucht das Konzept der Dekolonisierung, der vierte Teil diskutiert die Dekolonisierung in Nordamerika. Es wird erkennbar, dass die Befreiung der indigenen Völker in Nordamerika eng verbunden ist mit einem globalen Prozess des Widerstands und des Überlebens. Dieses Handbuch ist sowohl für den Selbstunterricht als auch für die Verwendung im Unterricht gedacht. Die [im Anhang] folgenden Stundenpläne können in der Schule genutzt oder angepasst werden.
„Wissen macht eine Person unfähig Sklave zu sein“ – Frederick Douglas
„Befreiung ist die Aufgabe, die uns durch Eroberung und Kolonisierung aufgezwungen wurde.“ – Chinweizu, The West and the Rest of Us, Seite 33
Jagdsabotage – RitschRatsch
In die Dunkelheit schlichen schwarz gekleidete Menschen, mit Masken vermummt, gerüstet mit Werkzeugen. Was trieb sie an den Waldrand, dass sie so zielgerichtet übers Feld stapften? Sie kamen an den Ort, den sie ausgemacht hatten, da wo großes Unheil verrichtet wird. Nicht diese Menschen hatten vor Unheil über irgendwen zu bringen. Die schwarz gekleideten und vermummten Menschen wollten das Unheil an diesem Ort beenden! Als sie ankamen begannen sie sich an die Arbeit zu machen und sägten motiviert mit Geschick, die ersten Balken des ersten Turms der Schande. Sie sägten und zerschlugen die Stützen der Struktur und bald hielten die Beine des Gebildes das Dach nicht mehr gut.
Es knackste und krachte und der Turm fiel ganz um. Freude vernahmen die schwarzen Figuren, als hätten sie eine erste Etappe geschafft. Sie packten ihre Sachen und gingen weiter ihres Wegs, zum nächsten fatalen Grauen.
Eine Röhre aus Beton, lag auf dem Boden, sollte anderes Leben für immer sich holen. Erst wurde sich beraten, es wurde geschaut und überlegt, da nahm sich einer der Menschen den schweren Hammer und schlug zu das es nur so knackste, dass der Beton zerbricht. Diese hart, kalte Röhre würde nie mehr ein Leben in sich einsperren und es warten lassen auf die ewige Stille.
Freude kam auf und schon wieder, sollte grausame Gewalt hier weniger walten können. So ging es weiter von Unheil zu Grauen und bald gab es nichts mehr was dazu genutz werden könnte, zu morden, zu quälen, hier sollte niemand erstmal kein Leben mehr nehmen. So zogen die vermummten, schwarz gekleideten Lumpen, in die Finsternis der Anonymität und verschwanden, um weiter Unheil zu sichten und es zu zerstören.
Jagdsabotage ist wichtig und macht riesig Freude, also geht hinaus liebe ALF Meute!
Eine anarchistische Fürbitte
Die Zivilisation ist unser Religion
Im Fortschrittschwahn geboren,
hat der Mensch sich stets belogen.
Welch Lügen gehen wir nach,
dass die Welt zusammen kracht.
Im Zentrum steht der Mensch,
der sich als Maß für alles nennt.
Und die Armen, die Idioten?
Sich beschweren ist verboten!
Wir schmarotzen uns Wohlstand.
Der Regenwald ist abgebrannt.
Lieber Gott, der du da nicht bist.
Die Menschheit glaubt, dass sie dich vermisst
und verkennt dabei, dass sie selbst verantwortlich ist.
Alter weißer Mann im Himmel
Am Arsch sind deine Privilegien
Kein Reich komme, Anarchie geschehe
Wie in Spanien 1936
Unser tägliches Brot gibts in der Tonne
und vergib uns keine Schuld
denn wir wissen um die Schuldiger
Wir sind Opfer der Versuchung
und erlösen uns selbst vom Kapitalismus
Denn scheiße ist ein Reich und Macht und patriarchaler Herrschaftsscheiß
in Ewigkeit, gegen eure Zivilisation
Anarchie!
Mirage 2000+
von Juan Tramontina
Das ist total unfair, dachte Menara. Gerade hatten die Vereinigten Staaten angekündigt, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen. Wie sollen wir das bloß noch schaffen?
Sie lief in die Wohnküche und bereitete eine große Kanne Kräutertee zu. Eine Entspannungstasse für sich selbst, den Rest ließ sie stehen. Es dauerte nie lange, bis die Kanne leer war.
Zurück in ihrem Zimmer ging sie wieder online. Mit ihrer klimaaktivistischen Gruppe hatte sie viel Lobbyarbeit für ein solches Abkommen betrieben, und jetzt das. Es war definitiv ein heftiger Rückschlag. Und ein dezenter Hinweis darauf, dass sie an ihrer Strategie arbeiten musste. Womöglich hatte sie den Fokus zu stark auf den Bereich der Regierungspolitik gelegt. Zu allem Überfluss las sie im Internet, dass die EU nach aktuellem Stand ihre selbst gesetzten Klimaziele nicht erreichen würde. Erst spät schlief sie ein. Wieder einmal.
„Menara, baki, baki!“ Rini verfiel immer ins Esperanto, wenn sie ihre jüngere Schwester aufrütteln wollte. „Wir müssen los!“ Es stimmte, sie waren mit Backen dran. Vor drei Wochen, am ersten Sonntag des Monats, hatten sie auf der Nachbarschaftsversammlung vereinbart, heute für den ganzen Block Pizza zu backen. Im Hinterhof wartete schon die restliche Meute, etwa ein Dutzend Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17. Es bildeten sich drei Gruppen: Eine sollte sich um die riesige Teigmasse kümmern. Angeleitet von Rini, deren Arbeit dieses Jahr darin bestand, den weitläufigen Gemüsegarten zu pflegen, sollte eine weitere Gruppe die überdachten Tomatensträucher abernten und die überall verteilten Basilikum- und Oregano-Pflänzchen absuchen. Und eine dritte war für das Anheizen des größeren der beiden Lehmöfen verantwortlich. Auf den Dächern drumherum blitzten die Solarpaneele, und die Gemeinschaft hatte es sich nicht nehmen lassen, im Innenhof gemeinsam die altmodischen Lehmöfen zu bauen und zu betreiben. Den ganzen Nachmittag über kamen Leute vorbei, aßen Pizza und beglückwünschten die Bäckerbande zu ihrem Geschick. „Dankon!“, riefen sie ihnen zu.
Über Lehm- und andere Öfen sinnierend, kam Menara schließlich auf das Thema Braunkohle, einem der zentralen Energieträger des Landes, aber auch weltweit. Ihr Urteil war schnell gefallen: Diese Dreckschleudern, die sich Kohlekraftwerke schimpften, waren ein Übel sondergleichen. Im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Bonn beteiligte sich ihre Gruppe an einer Protestaktion vor einem solchen Kraftwerk. Vor den Toren hielten sie Transparente hoch, doch dahinter brannten die Öfen weiter. Irgendetwas stimmte nicht. Sie beschloss, ein wenig Zeit verstreichen zu lassen. Sie zog sich von der Gruppe zurück und überließ das Ganze seinem Lauf. In der Zwischenzeit ordnete sie ihre Gedanken. Kohlekraftwerke, die die Industrie am Laufen hielten, die das ganze System am Laufen hielten …
„Ĉu vi volas vojaĝi al Berlino?“ Rinis Frage riss Menara unsanft aus ihren Überlegungen. Was soll diese Frage jetzt? Und was soll ich in Berlin? Sie weiß doch ganz genau, dass Reisen nicht so mein Ding sind.
„Es sind gerade ein paar Plätze im Zug frei.“
„Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin!“, platzte es aus Menara heraus.
Rini nickte. „Hätte ja trotzdem sein können, dass du Lust hast, was zu erleben. Aber wer bin ich schon, um darüber zu urteilen, womit andere Leute ihre gesamte Zeit verbringen? Wir sehen uns!“ Die Tür fiel hinter ihr zu.
Menara begann ihre Informationsquellen zu diversifizieren, eine Tageszeitung hier, eine Radiosendung dort, ein Videoblog ganz woanders. Über Twitter wurde sie schließlich auf etwas aufmerksam, das sie sofort begeisterte: Eine Gruppe junger Menschen hatte alles hinter sich gelassen, war in der Nähe von Aachen in einen Wald gezogen und hatte angefangen dort zu leben. Nicht auf dem Boden, sondern auf Bäumen. Die Rodung der Reste eines der ältesten deutschen Primärwälder sollte so verhindert werden. Wahnsinn, dachte sie. Das ist ein ganz anderer Ansatz als Lobbyarbeit oder symbolische Aktionen. Das ist es, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe. Direktes Einwirken – ohne Umschweife oder Mittlerpersonen. Ihre Umweltgruppe ließ sich schnell von der Idee begeistern, dieses Projekt zu unterstützen. Gemeinsam ließen sie sich auf dem Wiesencamp nieder, wo die Unterstützer der Waldbesetzung und der Baumhäuser im Hambacher Forst ihr Lager hatten.
Ihre Tür ging auf. „Ich habe was mitgebracht … Aber schauen musst du schon selbst!“ Rini drängte sie in Richtung Fenster. Menara schwieg, ließ sich aber dennoch von ihr führen. Was will sie denn jetzt? Sie platzt immer rein, wenn ich … Oh, was?! Kann doch nicht wahr sein! „Deswegen wollte ich, dass du mitkommst“, beantwortete Rini Menaras fragenden Blick. „Ich mich bereits vor einem halben Jahr bei der neuen Manufaktur in Berlin auf die Liste für ein Lastenrad eingetragen – und dafür an anderer Stelle eine notwendige Tätigkeit erledigt. Jetzt hat unser Block auch eines.“ Hand in Hand sprangen Menara und ihre große Schwester im Kreis.
Menara war zurück bei ihren Klimaaktiven. Mit dieser Gruppe hatte sie schon mehr über klimatische und politische Zusammenhänge gelernt als innerhalb ihres Kreises zur gegenseitigen Bildung an der Schule. Und sie sollte noch deutlich mehr lernen – am eigenen Leib sozusagen: Eine Million Arbeitsstunden setzte die Polizei ein, um 77 Baumhäuser zu räumen – zugunsten des Braunkohletagebaus. Menara kam dabei zum ersten Mal in Polizeigewahrsam.
Sie wusste nicht, was sie davon zu halten hatte. Sie bereute keine ihrer Taten, aber die Erfahrung hatte sie durchaus mitgenommen. Dass es am Ende – und direkt im Anschluss an die Räumung – ein Gericht war, dass die Rodung untersagte und den gesamten polizeilichen Einsatz rund um die Baumhäuser ad absurdum führte, war immerhin eine mehr als kleine Genugtuung. Jetzt musste sie aber vorerst abschalten. In ihrem Stadtviertel begann das halbjährliche Schenkfest, eine willkommene Abwechslung. Auf dem neuen Lastenrad brachte sie gemeinsam mit Rini, neben einigen Sachen aus dem Haus, eine kleine Kommode, die sie nicht mehr brauchten, sowie verschiedenste Kleidungsstücke, die noch gut in Schuss waren, auf den großen – und völlig überfüllten – Platz. Das Event, nach dem Objekte aller Art wild durcheinander gewürfelt überall im Stadtviertel und darüber hinaus wieder auftauchten, war eines der beliebtesten Feste im Jahr. Menara musste schmunzeln. Das dort drüben ist doch mein selbst bemaltes T-Shirt vom letzten Jahr! Ein Mädchen lief an ihr vorbei, mit einem Ausdruck großer Zufriedenheit im Gesicht.
Ein Grinsen tauchte auch auf Menaras Gesicht auf, als sich wie aus dem Nichts plötzlich Fridays for Future wie ein Virus rasant verbreitete. Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt entschieden plötzlich, sich zur Wehr zu setzen – gegen eine Zukunft, die für sie allzu katastrophal aussah. Menara animierte ihre Gruppe sofort, sich auch dort zu engagieren. Ein halbes Jahr später kam es zu einem globalen Protesttag. Hunderttausende waren auf den Straßen unterwegs. Menara natürlich mit dabei. Doch obwohl die Dringlichkeit des Themas immer mehr Menschen bewusst wurde, passierte – vom Aufschwung grüner Parteien mal abgesehen – vergleichsweise wenig. Klar, was sind schon unsere Druckmittel? Ein Schulstreik unterscheidet sich halt in einem Punkt total von einem Arbeitsstreik. Er tut niemanden weh.
Rini verabschiedete sich von ihrer Schwester und ging – wie sie stets schmunzelnd zum Besten gab – zu ihrer zweiten „Arbeitsstelle“. Menara hatte sie dort beobachtet: In ihrer Werkstatt arbeitete Rini tatsächlich. Hauptsächlich für sich selbst. Immer wieder entstanden Werke, richtige Kunstwerke: Aus recyceltem Papier und Hanffäden, Zweigen und Muscheln gebastelte, verdrehte und leuchtende Landschaften, die entweder an ein Haus gingen, in dem jemand eine notwendige Tätigkeit erledigt hatte, oder an einen der vielen Ausstellungsräume. Manchmal sogar an ein Museum. Menaras Augen leuchteten bei diesen Gedanken auf. Nächstes Jahr würde auch sie eine eigene Werkstatt oder einen anderen Raum zum Ausleben ihrer Kreativität und ihres Schaffensdrangs haben können.
Tagelang dachte Menara über die Taktiken und Strategien der Umweltschutzbewegung nach. Am Ende schien ihr Fridays for Future einfach zu handzahm. Wichtig, aber nicht effizient genug. Sie stieg mit ihrer Gruppe bei XR ein – Extinction Rebellion. Eine Straßenblockade jagte die nächste. Beinahe im Wochenrhythmus landete sie jetzt im Polizeiarrest. Anfangs noch bei jeder einzelnen Festnahme wie vom Blitz getroffen, nahm die Betroffenheit rapide ab. Das Ganze kam ihr nur noch absurd vor. Wollen die Verantwortlichen die Klimakatastrophe gar nicht verhindern? Was soll diese polizeiliche Überreaktion bezwecken? Hört hier denn niemand auf die Jugend? Was ist das für eine Gesellschaft?!
Möglicherweise in Reaktion auf Fridays for Future und XR erklärte die EU schließlich den Klimanotstand. Ignoranz wollte sich scheinbar niemand vorwerfen lassen. Was beachtlich klang, hatte jedoch keinerlei konkrete Folgen. Und kurz darauf war vom einem neuen Virus die Rede. In China kam es zum Lockdown, in Norditalien drohte der Stillstand einer ganzen Region. Menara verkroch sich in ihr Bett.
Früh morgens war sie nochmals kurz online. Mit Tränen in den Augen rannte sie in Rinis Zimmer und legte sich zu ihrer noch schlafenden Schwester. Menaras Unruhe spürend, war diese im Nu hellwach. „Ist mit dir alles in Ordnung, Liebes?“
„Ja, klar! Ach, was weiß ich?! Nein. Alles scheiße!“
„Was denn los?“, wollte Rini wissen.
„Das ist doch alles mega unfair! Jetzt wurde das Virus auch noch zu einer Pandemie erklärt. Alles ist lahmgelegt.“
„Verstehe … dein immersives Strategiespiel aus dem Umweltunterricht.“ Rini blieb ganz ruhig, öffnete ihr Interface und loggte sich bei Menara ein. Diese fing an zu schluchzen. Rini schaute sich auf Menaras VR-Rechner um.
„Nimm dir das nicht so zu Herzen, Kleine. In welche Rolle bist du geschlüpft? Die Industriellen?“
„Normale Bevölkerung. In Form einer kleinen Umweltschutzgruppe“, antwortete Menara knapp.
„Ok, neniu surprizo!“, sagte Rini. „Deren Spielziele sind faktisch unerreichbar. Eigentlich wäre ein anderes politisches System nötig, doch das ist schwierig in der kurzen Zeit.“
„Lässt sich die Welt denn überhaupt nicht retten?“ Menara weinte nicht mehr, sondern blickte ihre Schwester verblüfft an.
„Am Anfang denkst du noch ‚Ist ja genug Zeit, wird schon alles‘. Am Ende ist die Entwicklung rasant und für eine Kehrtwende sind die Kräfteverhältnisse zu ungleich verteilt“, sagte Rini. „Deswegen der Titel des Spiels: ‚Alternativ-Erde 2000+: Klimawandel-Challenge – Mirage-Edition‘. Aber bei dem Spiel geht es auch weniger ums Gewinnen im simulierten Szenario, als darum, welche Schlüsse wir aus der Erfahrung für unsere eigene Welt ziehen. Allerdings halte ich die Weltrettung in dieser Spielvariante größtenteils für reine Mirage, eine Fata Morgana!“